Sonntag, 21. November 2021

Ruhestand, zum Ersten



Den folgenden Text schrieb ich zum Jahreswechsel 2017/18, also vor fast 4 Jahren. Irgendwie habe ich vergessen, ihn zu veröffentlichen, was ich beim nochmal Überlesen schade fand. Deshalb hole ich das jetzt nach: also begonnen im 
Dezember 2017!
So,
unser Weihnachtsbesuch ist gut wieder zuhause angekommen – die Rückmeldung dazu per Whats APP ist mir immer wichtig – und so langsam kehrt die Alltagsnormalität, oder sollte ich sagen Routine, wieder ein.
Noch etwa 10 Tage Weihnachtsferien, die letzten in meinem Arbeitsleben, denn Ende Januar, genau genommen, am 31.1.2018 ist mein letzter Arbeitstag, bevor ich in den, wie man so sagt, wohlverdienten Ruhestand gehen darf!
Natürlich weiß ich seid vielen Jahren, wann der Tag „X“ sein wird, trotzdem macht mir sein unaufhaltsames Näherrücken auch ein gewisses Maß an Bauchschmerzen.
Je näher der Tag rückt, umso mehr kreisen meine Gedanken um die Zeit danach.
Ich habe das Gefühl, dass dann nichts mehr so sein wird wie bisher, obwohl ich ja nur einen Tag älter werde und mich morgens beim Blick in den Spiegel hoffentlich noch das gleiche Gesicht anschauen wird.
Wenn ich so zurückschaue auf fast 40 Jahre Arbeitsleben, das ich vorwiegend als Lehrerin verbrachte, fällt es mir schwer, mich in einer anderen Rolle zu sehen.
Zu sehr habe ich das Lehrerdasein verinnerlicht, mit meiner Person verwoben,bin immerzu, auch in meiner Freizeit, in dieser Rolle verhaftet gewesen.
So stelle ich mir aktuell die Frage, die ich vor kurzem anlässlich der Leitung einer Wortgottesfeier erörterte:
Wer bin ich“ und befinde mich dabei in bester Gesellschaft mit dem Evangelisten Johannes in seinem Evangelium zum 3. Adventssonntag mit dem schönen Namen „Gaudete“.
Bei Johannes ging es um die Identität seines Namensvetters, der im Jordan taufte und als Wegbereiter Jesu gilt.
Ich folge nicht solch hohen Zielen, bei mir geht es aber genauso um die Frage, wer ich bin, um meinen kommenden Lebensabschnitt sinnvoll und meiner Identität entsprechend zu gestalten.
Wer also bin ich?
Ich bin die Tochter meiner Eltern, auch wenn das schon lange her ist und mein Vater zur Erörterung dieser Frage nicht mehr zur Verfügung steht.
Ich bin die Mutter meiner Kinder und die Schwiegermutter von Schwiegertochter und Schwiegersohn, mit denen ich im ständigen Gedankenaustausch auf natürlich unterschiedlichen Ebenen bin und so, hoffentlich zu deren und ganz sicher zu meiner Weiterentwicklung beitragen werde.
Ich bin die Oma meiner Enkelkinder, inzwischen drei, deren Entwicklung ich durch meine Begegnungen mit ihnen hoffentlich auch mitbeeinflussen kann.
Ich bin die Ehefrau und Geliebte meines Mannes, und in unserer Beziehung werde ich hoffentlich auch weiterhin Impulse zur beiderseitigen Entwicklung setzen können.
Ich bin Freundin und Nachbarin, versuche zuzuhören, Tipps und Ratschläge zu geben, wenn diese gehört und gewünscht werden.

Noch bin ich Kollegin an unserer Schule, wo ich immer weniger gefragt werde, da mein Urteil und meine Erfahrungen offensichtlich nicht mehr benötigt werden.
Das klingt sicher auch ein wenig bitter, aber ich denke, es ist u.a. die Rücksichtnahme meiner Kolleginnen und Kollegen, die mir einfach schon mal meine Ruhe gönnen, so wie meine Kollegin Edith, mit der ich seit eineinhalb Jahren eine Klasse leite, ausdrückt: „nicht mehr deine Baustelle“!
Bewusst habe ich mich vor geraumer Zeit dafür entschieden, nicht weiter arbeiten zu gehen, obwohl sogar unten auf meinem Rentenbescheid der Hinweis auf die Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung prangte.
Ich hatte das Gefühl, erst mal einen Schnitt“ zu brauchen, der mich das Rentendasein in allen Konsequenzen spüren lassen würde.
Inzwischen mache ich meinen „Job“, erkläre den Schülern zum gefühlten 20ten Mal die Geheimnisse der Bruch- und Prozentschreibweise, bereite die letzte Klassenarbeit vor, die dann grottenschlecht ausfällt. Ich schreibe Gutachten und die letzten Beiblätter für einige Förderzeugnisse, meine Aufgabe als Sonderpädagogin.
Noch einige Elterngespräche, Klassenteambesprechungen, bis zum letzten Tag volles Programm.
Aber innerlich distanziere ich mich so langsam von all den Problemen und Baustellen. Erlaube mir auch die ein oder andere kleine Unpünktlichkeit, heißt, ich bin nicht mehr so überpünktlich und verabschiede mich einzeln von meinen Förderschülern.
Der Abschied von der Klasse und den Kollegen wird dann am Tag der Zeugnisausgabe sein. Das hatte ich mir so gewünscht.


Anfang Februar 2018
So,
inzwischen ist die Verabschiedung erstaunlich entspannt verlaufen:
die Schüler sangen mir ein tolles Lied und schenkten ein selbst gestaltetes Kunstwerk, was leider, irgendwie typisch, nochmal generalüberholt werden muss, damit es dann hier zu Hause eine unserer Wände zieren kann.
Eine kleine wunderbare Rede von Evi, meiner Rektorin, die ich sehr vermissen werde, eine Rede der Vertreterin des Lehrerrates und nicht zuletzt, meine letzten Worte, in denen ich meine Laufbahn an unserer Schule, auch die nicht so tollen Erfahrungen und meine Wünsche für „meine“ Schule formulierte.
Sie sind mir alle sehr ans Herz gewachsen, das gebe ich zu, aber trotzdem gab es zum Abschied keine Tränen, worüber ich selber ganz erstaunt war.


Mitte Februar 2018
So,
die ersten Tage fühlten sich wie Urlaub an, gut, ich war noch zwei- oder dreimal in der Schule, als Gast, und habe das auch sehr genossen.

Und nun hat er mich, der Pensionärsalltag!
Zunächst mal, wie im Urlaub, in den Tag hinein leben. Niemand drängt, weil ein Termin ansteht. Der PC darf auch schon mal einen Tag unbenutzt bleiben, keine Unterrichtsvorbereitung mehr, nie mehr!
Die Hunderunde darf auch schon mal etwas länger ausfallen weil's gerade so schön ist, noch ein Schlenker dran gehängt.
Spontan eine Runde mit der Nachbarin reiten, welch Freiheitsgefühl!
Aber auch lange schlafen? Geht nicht, mein innerer Wecker schmeißt mich um kurz nach 7 Uhr raus, also gehe ich mit den Hunde, versorge die Ponys, alles wie früher, nur ca. 90 Minuten später.
Danach mit Kaffee nochmal ins Bett, noch etwas lesen oder Nachrichten im Smartphone checken. Ja, auch die sozialen Netzwerke bedienen, wobei ich mich häufig nur auf's Mitlesen beschränke.

Und jetzt merke ich auch, ich bin eigentlich ein Frühaufsteher. Die Vormittagszeit ist mir zu kostbar, um sie im Bett zu verbringen.
Auch da ticken mein Mann und ich unterschiedlich, was ja nichts Neues ist.

Also sollten wir hier Wege des Zusammenlebens entwickeln, wo jeder seinem inneren Rhythmus folgen darf, ohne den anderen zu verpflichten.
Getrennte Zimmer geht nicht, wollen wir auch nicht, schließlich sind wir verheiratet und wollen unsere Ehe auch leben.
Und ich merke sehr bald, dass ich auch meinen Freiraum brauche.
Das fiel vorher nicht so auf, da ich ja berufsbedingt täglich mehrere Stunden nicht im Haus war.
Doch, wenn man jeden Tag die gleichen Programmpunkte „abarbeitet“, also die Punkte, die durch unsere Hobbys bestimmt werden, kann sich durch die immer gleiche Routine auch eine gewisse Langeweile einschleichen.
Ich weiß, dass sich das bei mir in zunehmend schlechter Laune und Ungeduld meiner Umgebung gegenüber äußern kann.
Das will ich nicht! Da bin ich auch sicher keine Ausnahme.
Wie machen das andere Leute im Ruhestand? Die meisten, die ich kenne, stürzen sich in Aktivitäten mit Familie, Enkelkinder oder ehrenamtliche Tätigkeiten.
Ich weiß von mir, dass ich jetzt zunächst mal keine festen Termine einplanen möchte.
Vielleicht ändert sich das ja wieder, doch ich denke, dass ich auch das Gefühl von Langeweile spüren muss, um Sinnvolles mit meinem Leben anfangen zu können.